MEIN STREBEN NACH THIGH GAPS

Wir kennen das alle: Manchmal hat man Tage, da weiß man weder ein noch aus. Tage, an denen man wahnsinnig wütend ist und Tage, an denen man jegliche Hoffnung aufgibt. Ich habe mir an solchen Tagen immer jemanden gewünscht, der mir versichert hätte, dass alles wieder in Ordnung kommt.

Deswegen, vorab: Ja, es kann alles wieder gut werden.
Heute bin ich Ernährungsberaterin und beschäftige mich nach wie vor viel mit Essen – allerdings ohne Zwang, Stress und emotionaler Achterbahnfahrt.
Deshalb hier nun 3 Dinge, die mir damals viel Sicherheit und Kraft gegeben hätten und die ich gerne an solchen Tagen gewusst hätte:

#1: Es kommt der Tag, an dem du ein Schoko-Croissant essen kannst, ohne dir über Kalorien Gedanken zu machen. Ohne ein schlechtes Gewissen.

Ohne auf dich wütend zu werden. Ohne Vorwürfe und 3 Stunden Sport als Ausgleich. Ohne Angst davor zu haben, man könnte dir ansehen, dass du gerade 345 Kalorien zu dir genommen hast. Sondern einfach nur, weil du gerade Lust darauf hast.
Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem ich mir selbst ein Versprechen gab: Sobald ich die nächsten 5 Kilogramm abgenommen hab, gönne ich mir endlich ein Schokohörnchen von unserem Bäcker ums Eck. Das erste Kilo verschwand, das zweite und dritte und ich fieberte diszipliniert dem Hörnchen entgegen, das ich mir seit Wochen in den Kopf gesetzt hatte. Endlich war Tag X gekommen und ich hatte mein anvisiertes Gewicht erreicht. Da realisierte ich, dass ich das Croissant gar nicht essen konnte.

Denn vorher wollte ich noch weitere 5 Kilo verlieren. Überhaupt, was hatte ich mir da eigentlich in den Kopf gesetzt? Das sind 345 kcal, jede Menge Zucker, Schokolade, Transfette und Blätterteig.

Jahre später, esse ich grundsätzlich genau das worauf ich Lust habe und was mir guttut. Ohne dabei penibel die Nährwertangaben zu scannen Ich rechnete auch nicht mehr ständig die Kalorien im Kopf zusammen, die ich den Tag über schon „verbraucht“ hatte.

#2: Es kommt der Tag, an dem du deinen Körper akzeptierst – auch ohne Thigh Gap.

Jahrelang habe ich nach jener Figur gestrebt, die bei den Mädels in Deutschlands beliebtester Casting-Show zu sehen ist. Hätte ich damals einen Wunsch bei einer Fee frei gehabt, hätte ich mir einen Thight Gap gewünscht.

Ich war vollkommen überzeugt, dass damit all meine Probleme auf einen Schlag gelöst wären und ich mein Leben zukünftig entspannt leben könnte.

Dann müsste ich mir nie wieder Gedanken ums Essen und meine Figur machen . Denn dann wäre ich endlich dünn genug.
Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, meinen Körper so anzunehmen, wie er ist.

Das bedeutete für mich, dass ich – auch mit knapp 1,60 und ohne Thigh Gap – Frieden mit meinem eigenen Körper schließe. Das war wohl einer der wichtigsten Prozesse, den ich je durchlaufen bin.

#3: Deine Essstörung hat das Zeug dazu, deine größte Stärke zu werden.

Erscheint auf den ersten Blick absurd. Ich hätte das vor einigen Jahren auch niemals so unterschrieben. Rückblickend habe ich aber unendlich viel aus dieser Zeit mitgenommen. Mein wichtigstes Learning war: Du bist so viel stärker als du denkst.
Sicher findest du auch einige Ereignisse, die du, obwohl du vielleicht wahnsinnig müde und kraftlos, ständig unkonzentriert, hungrig, wütend, niedergeschlagen und traurig warst, für dich erfolgreich gemeistert hast. Das nimmst du, obwohl jeder einzelne Tag ein Kampf für dich war, aus dieser Zeit mitgenommen hast.

Nach dem Prinzip „connecting the dots“ verstand ich nach und nach immer mehr, was ich durch diese Zeit lernen durfte.
Heute fülle ich mein Leben mit dem, was mir wirklich am Herzen liegt und erfüllt: Ernährungsberatung bei Essstörungen. Und das ist ganz sicher ein Vermächtnis meiner Magersucht. Ohne die Erfahrungen dieser Zeit würde es mir sicher nicht gelingen, mich so gut in meine Klientinnen hinein zu versetzen und sie zu unterstützen, wie ich es heute dank meiner Vergangenheit kann.

PS: Da ist noch eine Sache, die ich dich gern wissen lassen möchte: Ja, du kannst es schaffen. Glaube an dich. Vertraue dir. Und nimmt dir die Zeit, die du brauchst, um zu verstehen, was du aus dieser Zeit für dich mitnehmen kannst.