… und das Karusell dreht sich weiter
Ich liebe das Schreiben, besonders wenn es um Gesundheit geht. Und doch habe ich lange gebraucht, um Worte zu finden. Aber es ist mir eine Herzensangelegenheit. Meine Essstörung spielt in meinem Leben, grade jetzt zu Corona Zeiten, eine große Rolle. Und ich weiß, dass ich nicht die einzige bin, die Schwierigkeiten hat.
Ich hoffe, meine Worte erreichen dein Herz und helfen dir, zumindest für ein paar Minuten, eine kleine Auszeit von negativen Gedanken zu haben.
Ich möchte gar nicht unbedingt so tief in meine Vergangenheit reisen, das soll nicht der Fokus dieses Beitrags sein, aber eine kleine Zusammenfassung hier, damit du weißt, wer ich bin.
Nach jahrelanger Therapie kann ich mittlerweile sagen, dass meine Essstörung, oder besser mein gestörtes Essverhalten anfing, als ich in der Grundschule war, mit ca. 7 Jahren.
Ich war schon immer irgendwie anders.Mit mehr Therapie und mehr Diagnosen wurde es dann Jahre später erklärt. Ich ging nie gerne in die Schule. In der Grundschule hatte ich noch zwei Freunde, mit denen ich auch schon zusammen im Kindergarten war. Aber ich war das fünfte Rad am Wagen.
Irgendwie fühlte ich mich immer fehl am Platz und hatte auf der Weiterführenden Schule keine Freunde mehr. Während meiner ganzen Schullaufbahn, auch nach Schulwechsel wurde ich „gemobbt“. Das war damals das Tröpfchen, welches das Fass zum überlaufen gebracht hatte.
Fast forward, fünf Jahre später, mein erster Krankenhausaufenthalt und die Diagnose Anorexie.
Erneut, viel Sport, Arztbesuche, Isolation und ProAna Freunde später und ich sitze hier mit der Gewissheit: das Karussell dreht sich weiter.
Das Thema Essstörung ist eine sehr komplexe Angelegenheit und keine Erkrankung ist wie die andere. Dennoch kannst du mir glauben, wenn ich sage : Du bist nicht allein. Ich verstehe es, weiß wie es sich anfühlt. Es gibt Millionen von uns, normale Menschen, so wie du und ich.
Die einen hinter Türen versteckt, mit viel Angst und Scham und die anderen, die offen darüber reden, um ihre eigene Geschichte zu teilen.
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich jemals zur letzteren Gruppe gehören würde. Doch all die Jahre habe ich mir gewünscht, es gäbe etwas oder jemanden, mit dem ich meine Gedanken und Ängste teilen kann. Jemanden, der mich versteht und weiß was mit mir passiert.
Vor allem wünschte ich mir jemand, der zu mir kommt und sagt: Alles wird gut.
Und auch wenn es mir nicht leicht fällt UND mein Kampf noch lange nicht gewonnen ist, weiß ich, dass alles gut werden wird. Das Karussell dreht sich weiter.
Recovery ist hart. Den anstrengenden Weg dorthin möchte ich auch nicht schön reden oder unter den Teppich kehren. Aber hart ist nicht unmöglich.
Vor einiger Zeit sagte meine damalige Therapeutin, nach meinem gefühlt ZEHNten Nervenzusammenbruch: „[…]Sie müssen nur wollen[…]“.
Wie gerne ich diese Worte in dem Moment geglaubt hätte. Aber sie hatte recht – wir alle müssen nur wollen.
Ich weiß nicht, ob du gerne spazieren oder wandern gehst, aber selbst wenn nicht, visualisieren können wir alle.
Stell dir vor, der Weg aus der Essstörung ist wie die Besteigung eines riesigen Bergs.
Du stehst unten und schaust hinauf – allein die Vorstellung diesen Berg zu erklimmen ist grausam und überwältigend. Du weißt genau, es wird nicht klappen, wenn du nicht möchtest. Wenn du den Willen diesen Berg zu erklimmen (noch) nicht hast, dann ist das okay.
Wir alle gehen und lernen in unserem eigenen Tempo und vielleicht brauchst du diesen Berg gerade, als Schutz vor Unwetter und anderen Gefahren. Der Berg verdeckt zwar die Sonne, aber vielleicht ist dir der Schutz vor Negativem momentan wichtiger, und auch das ist okay.
Aber warte nicht zu lange, denn das Karussell dreht sich weiter.
Vielleicht bist du aber auch schon an dem Punkt, wo du voller Motivation und Willenskraft bist. Du willst nichts mehr, als dort oben anzukommen.
Aber es wird eine lange Reise, du könntest dich einsam und verloren fühlen. Genau deswegen rate ich dir: nimm Personen mit, die dir Kraft spenden können.
Wenn du ein unerfahrener Bergsteiger bist, was wir in diesem Fall alle sind, solltest du dir jemand Erfahrenen an die Seite nehmen, der dich auf dem Weg stützt und mit Rat und Tat zur Seite steht.
Und dann gehst du los.
Der Anfang fällt dir nicht schwer. Du bist voller Energie, hast deine Freunde an deiner Seite und der erfahrene Bergsteiger zeigt den Weg.
Doch nach einigen Stunden werden deine Beine schlapp. Du bist erschöpft und genervt und möchtest nicht mehr weiter. Aber ihr müsst einen Ort finden, an dem ihr geschützt seid und nächtigen könnt. Der Anfang ist immer hart, aber halte noch durch. Nur noch fünf Minuten.
Dort angekommen sitzt ihr zusammen und schaut hinab ins Tal. Dort wo ihr alle noch ein paar Stunden zuvor standet. Du kannst stolz sein und alle um dich herum freuen sich für dich.
Am nächsten Morgen geht die Reise weiter. Ihr wandert, findet einen Schlafplatz, wandert höher und höher.
Jeder Tag ist anstrengend und auch wenn der Berg endlos scheint, dein Körper gewöhnt sich an die Anstrengung.
Du bekommst mehr Kraft und Ausdauer. Du weißt deine Kräfte einzusetzen, beziehungsweise auch zu schonen und du weißt, das Karussell dreht sich weiter.
Manchmal wird es dir so vorkommen, als wenn der Berg immer höher wird und du auf der Stelle stehst, ohne vorwärts zu kommen. Das ist okay. Jeder kommt irgendwann an diesen Punkt. Vielleicht verlierst du ein paar deiner Freunde auf dem Weg. Sieh es nicht als Verlust. Es kann daran liegen, dass sie nicht stark genug sind, den Berg zu besteigen oder sie einfach bestimmt waren, nur einen Teil des Weges mit dir zu gehen. Und auch das ist okay.
Es liegt nicht an dir.
Dann ist es wichtig, dass du dich auf deine verbleibenden Freunde stützen kannst und dir Rat von dem Bergsteiger holst.
Dein Mund wird in diesen Zeiten viel mehr Bedeutung haben, als deine Beine. In dich hinein hören und sowohl deine Gefühle als auch deine Bedürfnisse zu kommunizieren ist viel mehr Wert, als Zähne zusammenbeißen und auf Teufel komm raus den Berg hochzulaufen.
Denn auch wenn du es nicht willst, das Karussell dreht sich weiter.
Jeder Berg ist anders. Vielleicht bist du schneller oben als ich oder umgekehrt. Es kann sein, dass du mehr Pausen brauchst, als andere. Manche kommen schnell voran, während andere sich im Gestrüpp verlaufen.
Wie es auch kommen mag, denk daran, dich immer mal wieder umzudrehen und zu sehen, wie weit du schon gekommen bist.
Was du alles hinter dir gelassen hast und was für neue Erfahrungen und Eindrücke du erleben konntest.
Eventuell gibt es ja sogar ein Eis bei deiner nächsten Pause. 🙂
Jeder Weg ist unterschiedlich und jeder von uns wird andere Erfahrungen machen. Für uns alle wird es anstrengend und dennoch lohnt es sich so sehr. Denk nur an die Aussicht, die du haben wirst, wenn du erst mal oben angekommen bist. Das Land, das sich vor deinen Füßen erstrecken wird. Du wirst Plätze sehen können, von denen du bisher nur geträumt hast.
Und hier meine wichtige Botschaft: Dein Leben oben auf dem Berg wird völlig anders aussehen, als jenes, das du im Tal gelebt hast. Du hast es mehr als nur verdient dies zu erleben.
Ich weiß, dass die aktuelle Situation es noch schwerer machen kann mit der Essstörung zu leben, aber auch das wird vorbei gehen.
Und auch wenn es sich nicht so anfühlt, du wirst stärker heraus kommen als du rein gegangen bist.
Zurück in alte Verhaltensmuster zu fallen ist nicht unbedingt ein Rückschritt. In einer Therapie gibt es keine Rückschritte, denn selbst wenn du alles aufgibst was du gelernt hast, hast du es nicht verlernt. Du kannst nur nach vorne gehen.
Ein Rückfall bedeutet nicht direkt Rückschritt. Merk dir das.
Das Karussell dreht sich weiter. Ein Tag geht zu Ende und ein neuer fängt an. Nichts davon liegt in unserer Hand.
Das Karussell dreht und dreht und dreht sich und wir können nicht absteigen. Aber warum sollten wir?
Such dir einen Platz und achte bei jeder Umdrehung auf etwas neues. Wechsle den Waggon und betrachte alles aus einer anderen Perspektive.
Bleib nicht an Altem und Gewohntem hängen, atme tief ein und lächle bis dir die Wangen weh tun.
Lächle, du weißt nie wer dir zurück lächeln wird.
Ich wünsche euch allen da draußen nur das Beste, ganz viel Kraft und alles Liebe!
Du bist nicht allein.
Wir schaffen das.
Ein Hoch auf Uns!
Autorin:
* Jenny
* 21 Jahre alt
* Ich hole gerade mein Abitur an einer Online–Schule nach
* Ich habe ebenfalls einen Blog (Hobby)
* Ich habe mehrmals ehrenamtlich in Kooperation mit Organisationen für psychische Gesundheit gearbeitet
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Blog: www.brikko.blogspot.de